Kronzeuge nach § 31 BtmG
Der Zeuge der (englischen) Krone
Der Begriff Kronzeuge enstammt dem englischen Strafverfahren, das als Parteiprozess zwischen der Krone und dem Beschuldigten ausgestaltet ist; er wird für den Zeugen verwendet, der – selbst als Mittäter oder Teilnehmer der Straftat verdächtig oder überführt – für die Anklage – die ja die Krone, also das englische Staatsoberhaupt vertritt – als Belastungszeuge auftritt.
Kronzeugenregelung des § 31 Nr. 1 BtmG
Als Kronzeuge wird im deutschen Strafverfahren eine Person bezeichnet, die die Strafverfolgungsbehörden, also Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht, durch die Lieferung von strafverfahrenseheblichen Informationen unterstützt und als Gegenleistung für diese Offenbarung seines Wissens in den Genuss von Vorteilen gelangt, die mit dessen eigenen Strafverfahren zusammenhängen.
Diese Vorteile können in einem gänzlichen Absehen von Strafverfolgung mit der Folge der Verfahrenseinstellung (sog. prozessuale Lösung) oder in einer Strafmilderung bis hin zu einem Absehen von Strafe durch das Gericht (sog. materielle Lösung) bestehen.
In § 31 Nr. 1 BtmG findet sich eine Kronzeugenregelung speziell für das Betäubungsmittelverfahren. Er lautet:
Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter
- 1. durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, daß eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder
- 2. freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß eine Straftat nach § 29 Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann.
War der Täter an der Tat beteiligt, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung nach Satz 1 Nummer 1 über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken. § 46b Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.
Kein Aufklärungserfolg, "nur" Aufklärungshilfe
Anders als in den Vereinigten Staaten muss ein Kronzeuge nach deutschem Recht nicht zwingend an der gerichtlichen Überführung eines (anderen) Angeklagten mitwirken, eine Unterstützung der polizeilichen Aufklärung ist notwendig, aber auch ausreichend. Die Bezeichnung „Aufklärungshelfer“ wäre daher in Deutschland präziser, wenn auch weitaus weniger geläufig.
Kritik an der früheren allumfassenden Kronzeugenregelung
Die Mehrheit der Rechtsgelehrten, die sich zu Wort meldeten, lehnte das Institut des Kronzeugen in der allgemeinen Form, wie es in den Art. 4 und 5 des Kronzeugengesetzes geregelt war, ab. Sie argumentierten, eine allgemeine Kronzeugenregelung sei unvereinbar mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 I GG, ebenso unvereinbar mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 I GG) und verstoße außerdem gegen das Legalitätsprinzip, da eine Kooperation mit Schwerstkriminellen unmoralisch sei. Ein Ermittlungsnotstand, der eine sachliche Rechtfertigung für eine allgemeine Kronzeugenregelung darstellen könnte, liege in Deutschland nicht vor..
Diese Bedenken werden von Polizei, Staatsanwaltschaften und der überwiegenden Mehrheit der Strafrichter nicht bzw. nicht in gleichem Maße geteilt. Für den Einsatz von Kronzeugen sprechen aus Sicht der Strafjustiz vor allem prozessökonomische Gründe. Aufgrund des steigenden Arbeitsanfalls der Justiz, ihrer oftmals unzureichenden personellen und sachlichen Ausstattung sowie der Zunahme komplexer Großverfahren (oft auch mit Auslandsbezug) in Sachen der organisierten Kriminalität besteht eine erhöhte Bereitschaft, durch das Zurückgreifen auf Kronzeugen schneller und in der Regel auch revisionssicherer zu einer Verfahrenserledigung zu kommen, zumal eine Kronzeugenaussage oftmals auch einen Domino-Effekt an weiteren Geständnissen auslöst.
Inanspruchnahme der Kronzeugenregelung
Unabhängig von der rechtlichen und insbesondere der verfassungsrechtlichen Beurteilung hat der als Strafverteidiger tätige Rechtsanwalt das derzeit zur Verwendung stehende gesetzliche Instrumentarium zum Vorteile seines Mandanten in jedwedem Verfahrensstadium, also im Ermittlungsverfahren, im sog. Zwischenverfahren oder im gerichtlichen Hauptverfahren, bestmöglich auszuschöpfen. Das heißt, dass auch nach dem Wegfall der allgemeinen Kronzeugenregelung nach dem Kronzeugengesetz der Strafverteidiger auf die praktikablen Alternativen des geltenden Rechts zurückgreifen muss, wenn es im Strafverfahren dem Angeklagten einen Vorteil bringt, so beispielsweise auf die §§ 31 , 31a BtMG, §§ 153 ff. StPO, § 46 StGB). Weiter muss derStrafverteidiger seinem Mandanten die Absprachepraxis („Deal“) zu Nutze zu machen, die sich quasi „neben dem Gesetz“ entwickelt hat.
Verfahrensabsprache im Kronzeugenfall
Bei Absprachen handelt es sich um eine Form der Einigung der einander gegenüberstehenden Prozesssubjekte – je nach Verfahrensstand Strafverteidiger und Beschuldigter einerseits, Staatsanwaltschaft und Gericht andererseits – über das weitere Verfahren, wobei sowohl Verlauf wie auch Ergebnis des Prozesses zum Inhalt der Absprache gemacht werden können. Als Gegenstand der Absprache werden auf Seiten des verteidigten Angeklagten insbesondere das Ablegen eines (Teil-)Geständnisses, Aufklärungshilfe, Verzicht auf bzw. Rücknahme von Beweisanträgen und Rechtsmittel(n) eingebracht, auf Seiten der Justiz vor allem die (Teil-) Einstellung, Verzicht auf Inhaftierung bzw. Gewährung von Haftverschonung und die Verhängung eines geringeren Strafmaßes bzw. die Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung.
Strafobergrenze bei Absprache
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist es zulässig, dass das Gericht mit einem Angeklagten eine Strafmaßobergrenze für den Fall eines Geständnisses vereinbart, soweit es alle Verfahrensbeteiligten in die Verhandlungen einbezogen hat, das Ergebnis der Verständigung in das Protokoll der öffentlichen Hauptverhandlung aufnimmt, den Boden schuldangemessenen Strafens nicht verlässt und eine Reihe von weiteren Verfahrensanforderungen beachtet. An eine solche Vereinbarung ist das Gericht dann grundsätzlich gebunden.
Absprache als Vergleich zu Lasten Dritter
Die Absprache zwischen dem „Kronzeugen“ (besser: dem Aufklärungshelfer) und der Justiz ist deshalb lediglich eine besondere Spielart des strafprozessualen Vergleichs, nämlich ein Vergleich (auch) zu Lasten Dritter. Der Kronzeuge bietet der Justiz außer einem Geständnis in eigener Sache zusätzlich belastende Informationen über Dritte an. Da das Gericht neben dem Geständnis auch die Aufklärungshilfe im Rahmen des § 46 II StGB bei der Strafzumessung berücksichtigen muss, eröffnet dies der Justiz die Möglichkeit zur Einführung des Kronzeugen auch außerhalb der gesetzlichen Ausnahmevorschriften. Von dieser Möglichkeit wird in der strafgerichtlichen Praxis immenser Gebrauch gemacht.
Vermittelst einer entsprechenden Anwendung des § 31 BtMG oder einer erweiternde Auslegung der §§ 153 ff. StPO – den Vorschriften, nach denen Strafverfahren entweder gegen eine Auflage oder ganz ohne Auflage eingestellt werden – lassen sich ähnliche Ergebnisse wie mit den Art. 4, 5 KronzG erzielen, zumal auch bei den jetzt noch geltenden gesetzlichen Kronzeugenregelungen (§ 31 BtMG usw.) die Fälle der Strafmilderung und nicht etwa die des Absehens von Strafe die Regel waren und sind.
Strafprozessual lässt sich ohne die Regelungen des Kronzeugengesetzes bei profunder Kenntnis der Materie besser zurecht kommen als noch bei Existenz dieser bis Ende 1999 geltenden Regelungen, die lediglich das beschreiben, was lange Praxis war und nach ihrer Abschaffung Praxis geblieben ist, ohne aber mit ihren Rechtsfolgen die an einem Strafprozess Beteiligten, insbesondere Strafverteidiger, Staatsanwälte und Strafgerichte einzuengen.