Eigenbedarf – geringe Menge zum Eigenverbrauch

Staatsanwaltschaften stellen Verfahren ein, Gerichte sehen von Strafe ab

Im Netz werden diese beiden Arten der Beendigung von Betäubungsmittelverfahren – auch von Anwälten – zuweilen durcheinandergeworfen:

Die Staatsanwaltschaft kann ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes des Besitzes, des Anbaus, der Herstellung von und des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach eigenem Ermessen einstellen, es sei denn, die Grenze der nicht geringen Menge der §§ 29a ff. BtmG sind überschritten.

Diese nicht geringe Menge interessiert uns in diesem Zusammenhang nicht weiter, sie ist etwas völlig anderes als die geringe Menge zum Eigenverbrauch. Zwischen dieser geringen Menge und der nicht geringen Menge gibt es auch noch eine Menge, die man als „normale“ Menge bezeichnen könnte.

Das Gericht kann in einem Betäubungsmittelverfahren (in dem es notwendigerweise zu einer Anklage durch die Staatsanwaltschaft gekommen sein muss, da das Verfahren ja sonst nicht bei Gericht anhängig wäre) „von einer Bestrafung absehen, wenn der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.“ So steht es in § 29 Absatz 5 BtmG (Betäubungsmittelgesetz).

Bis zu welchen Mengen sieht das Gericht von einer Bestrafung ab?

Das entscheidende Kriterium bei dem Absehen von Strafe durch das Gericht ist also nach dem Gesetzeswortlaut die „geringe Menge“.

Ungünstigerweise ist gerade die im Gesetz nicht definiert.
In den 70er Jahren stellte die Rechtsprechung zur definition der geringen Menge auf den Konsumentenpreis ab. Nachdem man merkte, dass diese Kriterium recht willkürlich ist und derjenige, der sich vom Dealer seines Vetrauens über den Tisch ziehen ließ, im Falle des Erwischtwerdens auch noch bestraft wurde und nicht in den Genuss der Straffreiheit kam, weil er zuviel bezahlt hatte, setzte sich die Auffassung durch, dass als geringe Menge eine solche anzusehen ist, die zum einmaligen bis höchstens dreimaligen Gebrauch geeignet ist.

So wurde die Konsumeinheitähnlich wie bei der nicht geringen Menge – bei der Bestimmung der geringen Menge das entscheidende Merkmal. Unter einer Konsumeinheit ist die Menge eines Betäubungsmittels zu verstehen, die zur Erzielung eines Rauschzustandes erforderlich ist.

Wann wird nun ein Rauschzustand erzielt?

Das hängt von drei Faktoren ab:

  1. Vom Wirkstoffgehalt,
  2. von der Konsumform und
  3. von der Drogengewöhnung des Konsumenten.

Von Interesse ist hier vor allem der Wirkstoffgehalt.

Amphetamin:

Ausgehend von 50 mg (0,05 g) Amfetamin-Base als einer hohen Dosis für den Ungewöhnten wird die Grenze für die geringe Menge bei 150 mg (0,15 g) Amfetamin-Base erreicht. Bei einem Briefchen mit 0,2 g Amfetaminzubereitung kann laut Oberlandesgericht Karlsruhe noch von einer geringen Menge ausgegangen werden.

Cannabis

Hier wird die durchschnittliche Konsumeinheit mit 15 mg (0,015 g) THC angesetzt. Der Grenzwert für die geringe Menge beträgt somit 45 mg (0,045 g) THC. Da bei kleineren Mengen von Cannabisprodukten der Wirkstoffgehalt häufig nicht festgestellt wird, stellen die Gerichte in diesen Fällen der Einfachheit halber auf die Gewichtsmenge ab:

Eine Gewichtsmenge von 6 g Cannabisgemisch wird noch als geringe Menge angesehen, weil sich laut dem Oberlandesgericht Koblenz unter Annahme einer äußerst schlechten Konzentration von 0,8 % aus 6 g Haschisch noch drei Konsumeinheiten gewinnen lassen.

Wegen des um sich greifenden Phänomens der Einrichtung von Cannabisplantagen mehren sich die Fälle, in denen die Ermittlungsbehörden Cannabispflanzen beschlagnahmen. Oft enthalten sie noch kein THC, zuweilen handelt es sich auch um männliche Pflanzen, die kaum THC ausbilden. Auch diese Pflanzen sind Betäubungsmittel, so dass sich an der Strafbarkeit nichts ändert. Da sich aus ihnen keine Konsumeinheiten gewinnen lassen, können sie aus der Ermittlung der Gewichtsmenge ausgeschieden werden. In Fällen des Betriebes einer Plantage kommt ein Absehen von Strafe nur in Betracht, wenn auch die weiteren Voraussetzungen des § 29 Abs. 5 BtmG erfüllt sind, insbesondere das Merkmal des Eigenbedarfs.

Kokain

Wenn kein Wirkstoffgehalt festgestellt worden ist oder werden kann, wird gemeinhin für die geringe Menge von einem Grenzwert von 300 mg (0,3 g) Cocainzubereitung ausgegangen, was bei der vorherrschenden Konsumform des Schnupfens maximal drei Konsumeinheiten als Einstiegsdosis entspricht.

Ob man ohne nähere Anhaltspunkte für die Qualität des Stoffs stets sagen kann, 1 g Cocaingemisch sei auch unter Berücksichtigung, dass es einen gewissen Zusatz von Zucker enthält, keine geringe Menge (so das Bayerische oberste Landesgericht im Jahr 1982), erscheint zweifelhaft. Jedenfalls bei 40 mg (0,04 g) Cocain muss ein Gericht zwingend prüfen, ob die Voraussetzungen für das Absehen von Strafe vorliegen.

Wenn der Wirkstoffgehalt festgestellt ist, dann ist die geringe Menge ausschließlich danach zu bewerten: Eine Konsumeinheit ist in diesem Fall mit 33 mg (0,033 g) Cocainhydrochlorid anzusetzen, so dass die Obergrenze der geringen Menge bei maximal 100 mg (0,1 g) Cocainhydrochlorid liegt.

Ecstasy

Ecstasy-Tabletten, die Amfetamin-Base enthalten, haben denselben Grenzwert, der auch für Amfetamin gilt, siehe oben.
Bei anderer Zusammensetzung der Pillen gelten die Werte der Konsumeinheiten für die jeweils darin enthaltene Substanz.

Bei MDA, MDE, MDMA ist die durchschnittliche Konsumeinheit 120 mg bzw. 140 mg, das Dreifache ist also 360 mg (0,36 g) Base oder 420 mg (0,42 g) Hydrochlorid. Der Bundesgerichtshof schlug indessen eine Herabsetzung in Anlehnung an Metamfetamin vor. Für das auch als Ecstasy anzutreffende m.-CPP ergibt sich ausgehend von einer Konsumeinheit von 120 mg  ein Grenzwert von 360 mg (0,36 g) Base.

Heroin

Eine Konsumeinheit umfasst 10 mg (0,01 g) Heroinhydrochlorid, so dass die geringe Menge bei 30 mg (0,03 g) Heroinhydrochlorid liegt.

Die frühere Rechtsprechung der 80er und 90er Jahre, die sich nicht an der Dosis eines Probierers oder Gelegenheitskonsumenten, sondern an der eines Konsumgewohnten orientierte und nach der der Grenzwert bei 150 mg (0,15 g) Heroinhydrochlorid lag, wurde aufgegeben.

Metamfetamin

Bei Metamfetamin  in Form von Crystal, Crystal Speed wird die rechtsdrehende und die linksdrehende Form und das Racemat unterschieden.

Für die rechtsdrehende Form ((2S)-N-Methyl-1-phenylpropan-2-amin) hat der Zweite Strafsenat des Bundesgerichtshofs den Grenzwert für die nicht geringe Menge auf 5 g Metamfetaminbase (6 g Metamfetaminhydrochlorid) festgeselegt. Er nimmt als durchschnittlichen Konsumeinheit 25 mg (0,025 g) Metamfetaminbase bzw. (30 mg (0,03 g) Metamfetaminhydrochlorid) an, so dass die geringe Menge bei 75 mg (0,075 g) Metamfetaminbase oder 90 mg (0,09 g) Metamfetaminhydrochlorid liegt.

Der Dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofs hält diesen Grenzwert allerdings für zu niedrig. Er entschied über Metamfetaminracemat ((RS)-(Methyl)(1-phenylpropan-2-yl)azan) und behandelte es wie Amfetamin, so dass er die durchschnittlichen Konsumeinheit mit 50 mg Base ansetzte, demzufolge die geringen Menge bei 150 mg (0,15 g) Base sieht.

Psilocin, Psilocybin

Eine Konsumeinheit ist 10 mg, so dass die geringe Menge bei 30 mg (0,03 g) liet. Bei Psilocybin liegt die Konsumeinheit bei 14 mg, die geringe Menge folglich bei 42 mg (0,042 g).

Bis zu welchen Mengen stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein?

Die Staatsanwaltschaften sind nicht an solch strikte Vorgaben gebunden wie die Gerichte, die sich an der geringen Menge orientieren, die für sehr viele Betäubungsmittel durch die Rechtsprechung mehr oder weniger einheitlich definiert worden ist.

Sieht ein Gericht nämlich bei einer „großen“ Menge von einer Bestrafung ab unter Berufung auf § 29 Absatz 5 BtmG, wird die Staatsanwaltschaft Rechtsmittel einlegen. Bestraft das Gericht bei einer „kleinen“ Menge, wird der Verurteilte unter Berufung auf § 29 Absatz 5 BtmG das Urteil angreifen.

Ist die Sache noch nicht bei Gericht, sind die Staatsanwaltschaften daher freier in ihren Entscheidungenm, was sie einstellen oder anklagen. Hier kommt es auf örtliche Gepflogenheiten ebenso an wie darauf, dass die Vertediigung bereits im Ermittlungsverfahren einstellungsrelevante Umstände, die in der Person, in der Art der Tatausführung usw. vorliegend, gegenüber der Staatsanwaltschaft ins Felde führt, um eine Einstellung – auf die es ja keinen Rechtsanspruch gibt – zu erreichen.

Ziel der Verteidigung bei dem Besitz geringer Mengen zum Eigenkonsum ist selbstredend eine Einstellung des Verfahrens wegen des Verdachtes des Verstoßes gegen das BtMG nach den §§ 153 oder 153a der Strafprozessordnung.

Sache der Verteidigung ist es, solche Einstellungen nach §§ 153 oder 153a StPO der Staatsanwaltschaften zu befördern, indem im richtigen Moment das Passende unwiderlegbar, logisch konsistent zu den bisherigen oder eventuell noch zu erwartenden Ermittlungsergebnissen vorgetragen wird.

Eigenbedarf als schlagendes Argument auch bei "normalen" Mengen

In Konstellationen, in denen die geringe Menge (weit) überschritten ist und eine Einstellung oder ein Absehen von Strafe nicht mehr in Betracht kommt, ist die schlüssige Darlegung des Eigenbedarfs ein so wesentliches Strafzumessungsargument, dass es von der Verteidigung niemals unbeachtet bleiben darf:

Ein von mir verteidigter Angeklagter ist Beamter. Bei ihm wurden bei einer Wohnungsdurchsuchung insgesamt 46,97 g Cannabisharz mit einem Wirkstoffgehalt von 7,56 g Tetrahydrocannabinol, 1,05 g Kokainzubereitung mit einem Wirkstoffgehalt von 0,83 g Cocainhydrochlorid, 6 MDMA-Tabletten und 8,45 g Marihuana aufgefunden.

Im Ermittlungsverfahren legte ich detailliert unter Anführung allerlei Beweisen dar, dass die Substanzen, obgleich die Grenze zur nicht geringen Menge noch oben überschritten war und somit der Verbrechenstatbestand des § 29a BtMG zur Anwendung kommen musste, ausschließlich zum Eigenkonsum bestimmt waren.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main folgte dem und klagte demzufolge nicht das Handeltreiben mit einer nicht geringen Menge, sondern den Besitz einer solchen nicht geringen Menge an, für den das – ausweislich des § 29a Absatz 1 Nr. 2 BtMG eine Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr – konkret also ein Jahr bis 15 Jahre – vorsieht.

Eine Verurteilung zu einem Jahr oder mehr – gleichgültig, ob auf Bewährung oder nicht – bedeutet für einen Beamten das berufliche Aus:

§ 24 Beamtenstatusgesetz lautet auszugsweise:

Wenn eine Beamtin oder ein Beamter im ordentlichen Strafverfahren durch das Urteil eines deutschen Gerichts wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr oder verurteilt wird, endet das Beamtenverhältnis mit der Rechtskraft des Urteils.

Nicht nur das Beamtenverhältnis endet, auch die Pensionsansprüche sind auf ewig verloren.

Über die Argumentation des Eigenverbrauches – trotz nicht geringer Menge – und der besonderen persönlichen Situation des Angeklagten gelang es, dem Schöffengericht eine Verwarnung mit Strafvorbehalt abzuringen, wobei die vorbehaltene Strafe 90 Tagessätze betrug. Der Urteilstenor lautete:

Der Angeklagte ist des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Cannabis/ MDMA/Kokain) in nicht geringer Menge schuldig. Er wird deshalb verwarnt. Die Verurteilung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 50 EURO bleibt vorbehalten.
Die sichergestellten Betäubungsmittel (46,97 g Haschisch + 1,05 g Kokain + 6 MDMA-Tabletten + 8,45 g Marihuana) werden eingezogen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Ich halte dieses – inzwischen rechtskräftige – Urteil des Amtsgerichts – Schöffengericht – Frankfurt am Main vom 24. April 2018 für durchaus wegweisend. Das Aktenzeichen lautet 943 Ls 5210 Js 203210/17.

Strafverteidiger Frankfurt